Persönlichkeiten im Portrait - Jennifer Teege
Es gibt zahlreiche Menschen, die in ihrem Leben schon wahnsinnig viel erlebt und erreicht haben. Passend zum Landjugend-Arbeitsschwerpunkt „Wahnsinn(s)leben…nach mehr streben?!“ werden solche Persönlichkeiten in der LJ Zeitung vorgestellt. In dieser Ausgabe bekommen wir Einblick in das Leben von Jennifer Teege, die im Erwachsenenalter erfuhr, dass sie die Enkelin von dem KZ-Kommandanten Amon Göth ist.
Sie haben eine Familiengeschichte, die so kaum eine andere Person hat. Würden Sie sie uns kurz erzählen? Die frühen Kindheitsjahre verbrachte ich in einem Säuglingsheim, dann bin ich zu einer Pflegefamilie gekommen und wurde adoptiert. Mein leiblicher Vater ist Nigerianer, ich bin also ein Mischlingskind. Ich habe ein relativ normales Leben geführt, habe viel Auslandserfahrung gesammelt und dann kam der große Bruch. Ihr Großvater war der aus Schindlers Liste bekannte NS-Kommandant Amon Göth. Was wussten Sie zuvor über ihn und wie haben Sie von der Verwandtschaft erfahren? Mit 38 Jahren habe ich zufällig von unserem Familiengeheimnis erfahren, als ich in einer Bibliothek ein Buch über die Geschichte meiner leiblichen Mutter - die Tochter Amon Göths - fand. Ich wusste nur das was die meisten aus dem Film wissen, dass er Kommandant in einem KZ war. Die weiteren historischen Fakten waren mir noch nicht geläufig. Bekannt geworden sind Sie mit dem Buch "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen". Warum haben Sie sich entschieden, ihre Lebensgeschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen? Die Frage hat sich am Anfang gar nicht gestellt, weil es ein Prozess war. Ich habe erst viel verarbeiten müssen und erst als ich die Dimension des Ganzen begriffen hatte, habe ich mich dazu entschlossen die Geschichte aufzuschreiben und zu teilen. Es ist eine lehrreiche und individuelle Geschichte, die für so viel mehr steht. Viele Themen im Buch sind universell und deswegen können sich vermutlich auch zahlreiche Menschen darin wiederfinden. Sie sind als Kleinkind adoptiert worden. Hatten Sie als Jugendliche einen starken Drang Ihre leiblichen Eltern kennenzulernen? Wie sieht Ihr Verhältnis jetzt aus? Meine Mutter kannte ich, aber als ich adoptiert wurde, hörte der Kontakt mit ihr auf. Es gab also immer ein Vermissen. Für meinen Vater interessierte ich mich erst später, ich wusste nur den Namen durch meine Geburtsurkunde. Heute haben wir Kontakt und nähern uns wieder an. Was hat Sie - abgesehen von Ihrer Adoption - in Ihrer Kindheit und Jugend besonders geprägt? Die Summe der Erfahrungen. Ich hatte eine relativ unbeschwerte Jugend und das Glück, eine gute Ausbildung genießen zu können. Empfinden Sie es als Ironie des Schicksals, dass Sie ausgerechnet in Israel studiert haben? Zufall oder Schicksal? Eine schwierige Frage. Ich besuchte eigentlich nur eine Freundin, die ich in Paris kennengelernt hatte und blieb dann dort, um zu studieren. Wenn ich heute darauf zurückblicke, handelt es sich natürlich um einen zentralen Baustein meines Lebens, der sehr außergewöhnlich ist. Wie sind Ihre israelischen Freunde mit der Tatsache umgegangen, dass Sie die Enkelin eines grausamen Nationalsozialisten sind? Freundschaft bedeutet, dass man sich einander vertraut und miteinander spricht, weshalb ich es mit ihnen teilen wollte. Ich war mir zu Beginn nur noch nicht sicher wie ich es mitteilen sollte, da ich nicht wusste, was diese Information auslösen würde. Die Reaktionen waren durchwegs positiv und die Freundschaften bestehen noch heute. Welchen Prozess mussten Sie durchlaufen, um zu verstehen, dass Sie nicht verantwortlich für die Taten Ihrer Vorfahren sind? In meinem Fall war es etwas spezieller, da die Konstellationen so komplex sind. Aber ich finde nicht, dass man für die Taten seiner Vorfahren verantwortlich ist. Schuld kann man nicht vererben. Wir sind als Menschen aber grundsätzlich für unser Gegenüber verantwortlich. Auch für unsere Generation ist es schwierig einzugestehen, dass wir die Nachkommen von Anhängern des NS-Regimes sind bzw. sein könnten. Würden Sie uns raten, in dieser Sache nachzuforschen, um die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen? Wenn das Bedürfnis da ist, ja. Es sollte niemandem aufgedrängt werden. Wenn in der Schule eine sinnvolle Aufklärung über den Holocaust und die NS-Zeit stattfindet, kommen in der Regel das Interesse und die Fragen von alleine. Unserer Meinung nach führen Sie ein "Wahnsinns-Leben". Wer führt Ihrer Meinung nach ein solches und warum? Ich finde, jeder führt auf seine Weise ein Wahnsinns-Leben. Bei mir ist es nur plakativer, da es geprägt ist von Zufällen, die sehr auffällig sind. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. Welche Eigenschaft schätzen Sie an Menschen besonders? Ich bewundere Menschen, die authentisch sind und moralische Wertvorstellungen verinnerlicht haben. Loyalität schätze ich ebenfalls. Sie sind eine gebildete und weitgereiste Frau. Was sollte Ihrer Meinung nach vermehrt in Schulen gelehrt und behandelt werden? Wichtiger denn je ist es die Brücke von damals zu heute zu schlagen, damit Jugendliche auch verstehen warum sie etwas lernen. Was mir aber fehlt, ist die Diskussion einer gewissen Lebensphilosophie und die Beschäftigung mit komplexeren Fragen des Lebens. Welche Ziele haben Sie sich selbst gesteckt? Dürfen wir bald mehr von Ihnen lesen? Ich lasse vorerst alles auf mich zukommen. Ich arbeite international als Rednerin und dieser Beruf bereitet mir große Freude. Ob man bald mehr von mir lesen kann, weiß ich noch nicht. Ich schreibe sehr persönlich und es ist wichtig, dass da erst ein Abstand ist und ich selbstreflektieren kann. Schenken Sie uns zum Abschluss bitte eine Lebensweisheit. "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht." Ein Zitat von Franz Kafka.
Interview geführt von Marlene Schruf
Über Jennifer Teege
- Jennifer Teege wurde 1970 in Deutschland geboren.
- Sie arbeitet als Werbetexterin, Rednerin und schrieb das Buch „Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“.
- Das Buch behandelt ihre Lebensgeschichte und ist in zahlreichen Übersetzungen erschienen.
- Bei Amon Göth handelte es sich um einen KZ-Kommandanten, der als Charakter auch in Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ auftaucht.
- Erst im Erwachsenenalter erfuhr Jennifer Teege die Wahrheit über ihre Herkunft.